God is a DJ

Wenn man(n) so wie ich über 50 ist, aber gefühlt erst Mitte 30 ist, ist es schon eine Herausforderung eine coole Location zu finden, um Sylvester zu feiern.

Auf der einen Seite möchte man den Altersdurchschnitt nicht unbedingt statistisch erhöhen und zu den Alten gehören und herablassend von den „Jungen“ angeschaut werden und auf der anderen Seite sind Menschen Ü50 nicht unbedingt immer schön anzusehen.

Unsere Wahl fiel auf Glück und Seligkeit, eine für Event und Gastronomie umgebaute Kirche in Bielefeld. Ich nehme an, wenn die Kirche in Deutschland das Konzept für den Gottesdienst übernehmen würde, wären die Kirchen nicht nur zu Weihnachten voll. Außerdem wäre solch eine Party als Gegenleistung für die Sonntägliche Kollekte und die Kirchensteuer auch mal schön. Am Ende bliebe vermutlich genügend für alle übrig – auch zum Spenden.

Die beste aller Ehefrauen hatte sich nun für das Event zum Jahreswechsel extra ein neues Kleid zugelegt. Natürlich ein Schnapper für unter 40€ bei einem der „jungen“, vertikalen Marken. Die die verstehen das Mode heute mehr bieten muss als nur ein in die Jahre gekommenes Qualitätsversprechen. Als Mann habe ich es noch einfacher. Passend zum Statement Piece der besten aller Ehefrauen wählt man dann das weiße Hemd, eine Jeans, den Daddy Sneaker und ein nicht zu auffälliges Sakko. Dieses Jahr war die Fliege dran, damit kann man(n) dann ein Statement setzen und ist up to date.

Das Menue für 98€ haben wir uns wahrsten Sinne des Wortes gespart. Soviel kann ich gar nicht essen, da trinke ich an einem solchen Abend lieber. Also gab es die Party Karten für 25€ im VVK mit Einlass ab 22:30Uhr inklusive kostenlosen Feuerwerk und einem Mitternachtssnack. Ich finde das ist ein guter Deal da das Unterhaltungsprogramm mit Anheizer Band und DJ inklusive ist.

Als Vater von drei Töchtern habe ich dann gedacht man könnte dann auch mal die Dienste der drei Prinzessinnen in Anspruch nehmen, schließlich hat man ja auch schon viel Zeit und Nerven in die Erziehung investiert. Unsere Beautyqueen war wie immer unpässlich, bereitete sie sich den ganzen Tag für ihren eigenen großen Auftritt auf einer Party vor. Aber Dramaqueen und stolze Besitzerin einer PKW Fahrerlaubnis war unser kostenloses Taxi und Harleyqueen der Sitter für unseren etwas neurotischen Hund.

Da die beste aller Ehefrau darauf bestanden hatte bis zur Kirche selber zu fahren hatte sie auch die Entscheidungsgewalt der Strecke. Leider ist es mir seit 20 Jahren nicht gelungen ihr den Unterschied zwischen der kürzesten und schnellsten Strecke verständlich zu machen, kennt sie sich doch besser aus als Google Maps.

Gegen 22:48Uhr erreichten wir dann doch noch unser Ziel. Am Eingang zur Kirche hatte sich schon eine kleine Traube gebildet und so stellten wir uns an. Zwei Türsteher (eine Mischung aus Boxclub Besucher mit Immigrationshintergrund) versuchten nun die einströmenden Massen der Feierwütigen Generation-X mit lauten Rufen wie beim Almabtrieb in zwei Reihen zu formieren und dabei die Tickets zu kontrollieren. Als erfahrener Besucher reichte ich dann einem der beiden gleichzeitig die Tickets mit der linken Hand und streckte meine rechte Hand aus, um das Party Band, das uns für den Eintritt und bei Bedarf auch Austritt legimitiert, zu empfangen. Für einen Bruchteil einer Sekunde hielt er mich wohl für einen Angreifer. Zum Glück schaltete sein „Kollega“ etwas schneller und konnte verhindern das ich zu Boden gestossen wurde. Als glücklicher Besitzer des „#ichbinpartygast“ Band ging es dann weiter, um dann eine Getränke Karte zu erwerben. Jetzt war es Zeit die Garderobe aufzusuchen, um sich von den lästigen Mänteln zu befreien. Und so folgten wir der Beschilderung vorbei an der Toilette in den Außenbereich. Irgendwie waren wir dabei in eine Gruppe von Nerds geraten. Ich sage einmal Nerd immer Nerd, das verwächst sich nur sehr selten im Leben. Der eine war wohl gerade erst vom Sofa aufgestanden. Mit einem viel zu weitem, zerknittern, blau weißem gestreiften Hemd, das wie selbstverständlich in seine Gürtel lose Hose lieblos gestopft war. Die Hose war irgendwo zwischen Straight Fit und ich habe keine Ahnung das Mode auch Veränderung bedeutet. Sein Buddy hatte über seinem Oberhemd noch eine bequeme Jersey Jacke mit stylischen Armflicken in Blockcolor an – vermutlich hatte er Sorge das er als offensichtlicher Nichttänzer frieren würde. Die Begleitung der Beiden war diese stereotypischen, kurzhaarigen, Makeup losen, Hornbrillen tragenden, Mode Verweigerinnen, die zu ihrer unscheinbaren Persönlichkeit passende Kragen lose Minimal Rundhals Blusen zu jedem Anlass tragen. Verwundert schaute sich diese Gruppe um. Viele hatten die Party zum Anlass genommen den Eintritt in das neue Jahrzehnt entsprechend zu feiern. So waren viele Frauen in „extra nicen“ Kleidern oder hippen Oberteilen unterwegs. Der von der deutschen Modebranche angekündigte Blazer Trend fand sich allerdings dann doch nur bei den Herren wieder und nicht bei den Frauen. Aber in Kombination mit coolen Fliegen sahen die Männer auch das ganz gut aus. Wie auch immer waren die Nerds sichtlich mit soviel visuellen Reizen überfordert und so entwich der einen die überraschende Frage: „Oh, haben wir einen Trend verpasst?“ Zum Glück standen die beiden hinter mir, mein Blick hätte ihre Frage sonst eindeutig beantworteten können.

Vorbei an den noch etwas verunsicherten Nerds ging es dann über den Raucher Außenbereich rein auf die Tanzfläche. Hier war schon einiges los. Zu meinem Entsetzen hatten sich doch noch ein paar Babyboomer hier hin verlaufen. Die erkennt man nicht nur an Bordeaux Farbenden Oberhemden sondern auch an ihrem Tanzstil. Wer in so einer solchen Location zu den Beats einen Foxtrott tanzt, sollte dann doch besser zum Tanztee gehen. Besonders liebe ich es dann wenn auch noch zwei Frauen so tanzen. Das erinnert mich dann immer an meine Oma und das Nachkriegsdeutschland, als die Männer entweder im Krieg gefallen waren, oder noch in Gefangenschaft saßen und die verbleibenden Frauen sich eben irgendwie selbst befriedigen mussten aber bitte nicht 2019! Auf den Schreck brauchte ich dann erst einmal etwas Alkohol und so kämpften wir uns vor bis zur Bar. Und weil Schatzi die Getränke Karte hatte suchte ich schon mal einen geeigneten Ort zum stehen und beobachten. Der ist idealerweise an der Theke, mit Sichtfeld Tanzfläche. Nach gefühlten 10min hatte der etwas überforderte Barkeeper aus den bestellten 2 Moscow Mules wie Houdini 4 gemacht, aber soviel wollte ich dann doch nicht auf leeren Margen trinken, noch nicht!

Während wir uns langsam für den Countdown warm liefen versuchte eine hagere, gefärbte Blondine quer an mir vorbei etwas zu greifen. Irgendwo hinter mir stand noch eine halbvolle Weinflasche. Ich wich ihr aus und lächelte sie dabei an. Das war wohl ein Fehler. Zumindest fing sie jetzt an besonders rüde zu tanzen und rempelte dabei die beste aller Ehefrauen ständig an. Variante A) die ist scharf auf mich dachte ich und versucht nun ihre Nebenbuhlerin auszuschalten. Doch ich verwarf diese Möglichkeit schnell wieder. Es war wohl Variante B) ein unangemessener Besitzanspruch an einen Platz. Weg gegangen heißt doch Platz vergangen an so einem Abend und so nahm ich die beste aller Ehefrauen schützend in meinen Arm und bot mit meinen ausgestreckten Ellenbogen einfach mal Paroli. Es ist schon verwunderlich das Leute glauben das Sie mit dem Kauf einer Weinflasche auch gleichzeitig eine ganze Bar ihr eigen nennen können. Das sind die Gleichen die mit dem Kauf eines 99€ Flugticket meinen Besitzer der Fluggesellschaft zu sein. Egal, nach einem weiteren Song beruhigte sie sich wieder und sie ging wieder an den Platz zurück an dem sie auch schon vorher friedlich wippend dem Geschehen gefolgt war. Geht doch.

Das Glas war leer und so war es Zeit auch mal tanzen zu gehen. Wir verließen die Theke Richtung Tanzfläche und suchten einen angemessenen Platz, weit weg von den Foxtrott Tänzern. Vor zwei Jahren hatte ich meine drei Töchter mitgenommen. Nach 15min hatte die eine schon mal gefragt ob die hier auch mal „moderne“ Musik spielen würden. Damals habe ich noch darüber geschmunzelt, aber dieses Jahr wurde mir bewusst was sie damit meinte. Ich glaube der DJ wollte das ausklingende Jahrzehnt noch mal huldigen, aber mit den Pointer Sisters und I´m so excited aus dem Jahr 1982 hatte er sich wohl etwas im Jahrhundert vertan. Seine Retrospektive ging noch weiter. Dann spielte er ABC von den Jacksons aus dem Jahre 1970 und noch relight my fire von Lulu in der extra langen Version. Es reichte - ich war vermutlich doch auf einer Oldie Party gelandet, was die swingenden Foxtrott Tänzer erklären könnte. Ich brach ab und suchte Ablenkung an der Champagner Bar. Das schnelle konsumieren durch den biologisch nicht vertretbaren Plastik Strohhalm zeigt seine Wirkung und ich folge willenlos der besten aller Ehefrauen nach draußen in die Kälte, um das „politisch inkorrekte“ Feuerwerk zu betrachten. Um die Militanten Feuerwerks Gegner nicht zu sehr zu erzürnen fiel die Show dieses Jahr doch erheblich kleiner und kürzer aus als noch vor zwei Jahren. Besser so, mir war kalt und so konnte ich schneller wieder zurück auf die Tanzfläche kommen, um mich wieder warm zu tanzen. Irgendwo entdecke ich schemenhaft die Gruppe der Nerds. Die hatten sich aus Angst nicht weiter bewegt und beobachten immer noch verstört die zappelnde Menge.

Die Musik wurde aber einfach nicht besser. Der Musik Meister spielte eben nur Musik aus dem letzten Jahrtausend. God is a DJ von 1998 war das „aktuellste“ was er seinem DJ Pult entlockte. Ich habe in meinem Leben schon so oft zu ain´t nobody von Chaka Khan getanzt, irgendwann ist auch mal gut. Das ist auch so mit der Mode – das bedeutet eben auch Veränderung und die Auseinandersetzung mit neuen Dingen und nicht immer das Gleiche hinhängen.

Um 02:30Uhr hatte ich genug von der Golden Oldie Party. Während wir mit der Straßenbahn nach Hause fuhren überlegte ich das nächste Mal doch auf eine andere Party zu gehen. Dann werde ich vielleicht für den Sugar Daddy meiner Töchter gehalten, aber wenigstens entstehen dort die neue MusikTrend und ich kann wieder tanzen.