Zungenspiele

Nachdem wir die üblichen Diskussionen geführt hatten, wer in welchem Zimmer mit wem unterkommt und warum das nie gerecht ist und ich mir wirklich mit niemanden ein Badezimmer teilen möchte, auch nicht heute !- waren die 3 Prinzessinnen und die beste aller Ehefrauen bereit das Kustendorf)* zu besuchen.

 

Ziel war es nicht sich intellektuell mit dem Künstler und seiner Idee auseinander zu setzen, ging es doch um etwas profanes wie der Nahrungsaufnahme vor Ort, da dem Busfahrer dieser Individual Reise nun eine gewerkschaftlich anerkannte Pause zu stand. Und nach diversen, offen ausgetragenen Zickenkriegen wollte ich versuchen diese mit Hilfe von Landes typischen Alkoholika einfach zu ertränken, um mich Nachts nicht noch mit verbal geäußerten ungerecht-fertigten Schuldzuweisungen auseinander setzen zu müssen.

Wie so oft ist Carlotta als erstes fertig! Dann kommt schon Emma noch zweifelnd am Modegrat Ihres Erscheinungsbildes, warum frage ich mich? Sieht sie doch immer gut aus?! Weitere 10min vergehen, während Hunger und Durst immer größer werden bis auch die Königin den Raum betritt und unsere bescheidene Hütte mit Glanz erstrahlen lässt.

Fehlt nur noch Tochter 3 - Luisa ! Vermutlich liegt es an der großen Entfernung die sie zurück legen muss. Ganze 16 Stufen mehr als wir hat Sie zu überwinden, oder das zurück gewonnene freie Wifi und somit der Kontakt zu ihrem persönlichen Kosmos hat Sie vollkommen abgelenkt.

Nach mehreren Rufen unsererseits kommt Sie etwas hektisch die Treppe runter mit den Worten: „Ich wusste gar nicht das wir schon los gehen wollten !“

In meinem Kopf höre ich plötzlich Juli ...“ denn Du lügst so schön...“

Egal, bloß keine Diskussion so kurz vor dem Essen-ich habe Hunger !

Also geht es raus aus dem Haus Richtung Ausgang der Anlage mit dem Ziel das Kustendorf mit unsere Anwesenheit zu beehren. 

Kurz vor dem Verlassen des Grundstücks wird dieser Plan torpediert in Form der Vermieterin die auf Ihrer Terrasse auf ahnungslose Gäste wartet, um diese vom pünktlichen Essen abzuhalten. Und da Schatzi grundsätzlich und jederzeit immer wieder gerne sich mit vollkommen fremden Menschen unterhält, wird das Loch im Magen vermutlich um ca. 20min größer, denn so lange dauert ein durchschnittlicher Talk der besten aller Ehefrauen.

Nun da wir hier noch 4 Tage bleiben und ich nicht bereits am ersten Abend mein wahres Gesicht zeigen möchte, lächle ich tapfer die beiden im Gespräch versunkenden Frauen an. Verstehen tue ich in der Regel wenig, tangieren mich die meisten Worthülsen in meinem Lebensraum auch nicht. Hier liegt es aber schlichtweg daran das ich der Sprache nicht mächtig bin und somit auch nicht in der Lage bin eine passende Lücke zu finden, um sachte darauf hinzuweisen das wir eigentlich essen gehen wollten.

Die Minuten vergehen zäh, wie in einer Ewigkeit, ab und zu schaut mich Schatzi oberflächlich beiläufig an. Ich versuche es mit Gedanken lesen und schicke über meine Augen Morsezeichen in ihre Richtung , vergeblich. Glücklicherweise steht Emma neben mir und wie es in diesem Alter eben so ist kann Sie ihre wahren Gefühle nicht verbergen und ein etwas quengelndes, mahnendes : “Mama....! “ Entfleucht Ihren Lippen. Reflexartig drehen sich die beiden Frauen um und richten Ihre Blicke auf uns - Gott sei Dank ist Mama international und in jeder Sprache verständlich.

Die Vermieterin hat Mitleid mit uns, vielleicht aber auch nur mit mir und lässt von der besten aller Ehefrauen ab und so kommen wir zumindest 10 Meter meinem Ziel näher.

Dummerweise gibt es hier am Ausgang einen Pool, der gerade von den restlichen Clan Mitgliedern der Reisegruppe Zaric in Beschlag genommen wurde. Oder wie ich zu sagen pflege, annektiert worden ist.Da werden gerade lautstark selfies und insta stories gedreht - die restlichen, Ruhe suchende Urlauber versuchen darüber hinweg zu sehen und schauen verkrampft Richtung Tal. Nach mehreren deutlichen Ermahnungen und Hinweisen, das es jetzt tatsächlich Richtung Kustendorf geht, überlassen wir den Pool den Gästen, die nun aufatmen und ihre Ruhe wiederfinden während wir nun endlich Richtung Tal gehen.

Im Kustendorf angekommen suchen wir das von der Vermieterin erwähnte Restaurant, in dem wir als Ihre Gäste kostengünstig essen können.

Kinder, heute ist der erste Abend unseres wahnsinnigen Urlaubs, was "Lacostet" die Welt, denke ich nur.

Nachdem man uns durch mehrere Restaurants geführt hat, entscheiden wir ( ich ) uns für die lokale Küche. Ich liebe Balkan Food ! 

Nun vollzieht sich folgendes immer wiederkehrendes Ritual.

Prolog

Zunächst findet der Kampf um den Besitz einer eigenen Speisekarte statt, bis jede eine hat. 3x English Menue, 1x Serbian ( unsere Karte für Serben wie Schatzi dies gerne gegenüber der Servicekräfte betont )

Ich brauche keine, bin ich doch müde von der Fahrt und meine Alter bedingte Sehschwäche lässt nix mehr zu, also bin ich abhängig von Schatzi und ihrer mehr oder wenigen wohlwollenden Art etwas von der Karte zu empfehlenden

Erster Akt

Obwohl schon hundertmal in diversen Restaurants erprobt, scheitern meine weiblichen Mitreisenden bei der Bestellung immer am gleichen Punkt.

Während „Frau“ sich bei der Essen Auswahl nicht nur permanent durch die ständig geführten Diskussionen von der eigentlichen Aufgabe ablenken lassen und durch die große Auswahl der Speisekarte verwirrt sind, wird die Frage die ein Kellner immer zu erst stellt - die nach den Getränken - sie aus dem Konzept bringen und der Kellner wird noch einmal weggeschickt um folgende kreative Auswahl im 2. Anlauf zu präsentieren 

1x Fanta, 2x Sprite, 1 Bier ( für Schatzi ) eine große Flasche Sprudelwasser und für mich bitte einen Quittenschnaps-wohl bekommst !

Zweiter Akt

Der Vorhang geht auf und das Essen wird serviert.

Wie wild wird beim dem berühren der Teller auf dem Tisch nach dem Besteck gegriffen, um von fremden Essen zu probieren.

Luisa ist dabei mit den fadenscheinigsten Argumenten ganz vorne dabei. „Ich habe hier noch keine Pommes probiert, wie schmecken die ?!“

Dritter Akt 

Das Gespräch am Tisch nimmt so langsam Fahrt auf. Alles bekommt eine gewisse Dynamik und der unausweichlich Crash, indem die Gesprächs Themen immer spitzer werden und mögliche Persönlichkeitsrechte verletzt werden, scheint unausweichlich.

Doch nicht heute. Irgendwie hat die lange Fahrt alle geerdet und wir lachen, albern herum und bestellen Essen und Getränke nach. 

 

Anmerkung des Autors: 

Achtung in den folgenden Textzeilen werden obszöne Gesten beschrieben die verstörend wirken könnten, lesen nur auf eigene Gefahr und bitte nicht nachmachen.

 

Der Alkohol, das schöne Wetter, die unglaubliche Location lassen nun alle Hemmungen fallen und wir diskutieren über die unterschiedlichen Bedeutungen von obszönen Handzeichen.

Ich lasse mich dazu hinreißen und hebe meine linke Hand Richtung Mund. Spreize nun meine Finger paarweise auseinander damit ein V entsteht und lasse meine Zunge züngelnd durch diese Öffnung gleiten, was zu einem allgemeinen Gelächter an unseren Tisch führt. 

Während ich in dieser Geste verweile, streift mein Blick vorbei an meiner Familie. 

Plötzlich bleibe ich an einem entsetzt blickenden Augenpaar zwei Tische weiter hängen. 

Mich starrt ein dunkelhaariger Teenager ca. 14 Jahr mit offenem Mund an.

Blitzartig lasse ich meine Hand nach unten gleiten und versuche auf unschuldig zu plädieren.

Während ich nun den Augenkontakt meide, schauen Emma und Carlotta in Richtung dieses Tisches und fangen plötzlich an zu lachen. Der Junge imitiert nun feixend meine obszöne Geste. Auf den fragenden Blick des Vaters, zeigt er nun in meine Richtung. Am liebsten möchte ich nun im Erdboden versinken und trinke den Rest meines Slivovic‘s auf ex, in der Hoffnung das mich der Zaubertrank unsichtbar macht.

Leider bin ich noch sichtbar und nun wohl Gesprächsthema am Nachbartisch.

Ich rede mir ein, das ich diese Familie vermutlich nie wieder sehen werde, wie sehr ich mich dabei täusche erfahre ich erst am nächsten Tag.

Fortsetzung folgt .....

 

)*Das Kustendorf (serb.: Drvengrad oder Mećavnik) ist ein in den 2000er Jahren angelegtes Bergdorf in Serbien. Erdacht und gebaut von von dem Filmregisseur Emir Kusturica, liegt dieses Dorf auf einer Höhe von 670 m über dem Meeresspiegel, einen Kilometer westlich von Mokra Gora im Zlatibor-Gebirge in Westserbien, nahe der Grenze zu Bosnien und Herzegowina. Unter anderem gibt es im Kustendorf ein Hotel, mehrere Restaurants und einen Tennisplatz. Aus gut unterrichteten Kreisen haben wir erfahren das Johnny Depp 1x pro Jahr hier aufschlägt und im Januar 2019 auch Monica Bellucci das Kustendorf zum Filmfestival besuchen wird.

„ Die deutschsprachige Bezeichnung des Ortes ist eine Erfindung seines Gründers Emir Kusturica , und es gibt unterschiedliche Interpretationen warum es zu diesem Namen kam.