Die perfekte Illusion

In unserer digitalen Welt lernen wir immer mehr Menschen in Social Media Netzwerken kennen. Das hat offen gesagt so seine Tücken. Denn was wir vom anderen zu sehen bekommen ist stark zensiert. Da sind wir nicht besser als die Chinesen oder die Militär Regierung Thailands. Jedes Bild von uns wird argwöhnisch betrachtet und mit Hilfe von Filtern und Facetune setzen wir uns ins rechte Licht. Da wird von unten nach oben und von oben nach unten eine Mehrzahl an Selfies geschossen. Immer um einen Mikro Moment unseres Ichs festzuhalten, in dem wir idealerweise Perfekt aussehen und so wirken wollen, wie wir uns insgeheim wünschen von anderen wahrgenommen zu werden. Diese Bilder werden dann als digitaler Müll ins World Wide Web geschickt. Neulich habe ich gelesen wie ein Blogger Pärchen berichtete das sie bis zu 2.000 Fotos schießen, um das eine das perfekte Bild, oder wie ich es nenne die große digitale Lüge, zu kreieren.

Nun ist diese Tatsache doch den meisten Nutzern hinreichend bekannt. Und so erfreut man(n) und Frau sich mit latent geheimen voyeuristischen Passionen an den Illusion des anderen.

Manchmal ist die Neugierde mehr über den anderen zu erfahren doch größer und dann schickt man neben den likes auch mal eine Nachricht und nutzt dabei eine der vielen Messenger Funktionen. Man tauscht Informationen aus, auch hier ist alles noch stark zensiert und dient nur dem einem Zweck das Trugbild seiner selbst aufrecht zu erhalten. Die kurzen mit Emojis versetzen Nachrichten lassen viel Spielraum für Phantasien, in der man sich und den anderen am liebsten sehen möchte. Und bis hier ist unsere digitale Welt auch noch vollkommen in Ordnung.

Nur manchmal kommt es dann zu dem besonderen Moment wenn man tatsächlich das Wagnis eingeht so eine digitale Person real zu treffen. Die Erwartung ist in der Regel hoch, zu hoch - da man bis dahin an einer perfekten Illusion gearbeitet und geglaubt hat.

Und dann passiert es. Dann steht so eine Person vor einem und das erste was einem klar wird ist das die Person entweder größer oder kleiner ist als man erwartet hatte, sie ist dicker oder dünner und irgendwie sieht man den Mensch auf einmal aus unzensierten Winkeln und stellt fest das sie ohne Filter und Facetune doch anders als auf dem idealisierten Profilbild aussieht. Hier ist die Enttäuschung oft schon groß, aber es kommt noch schlimmer. Nun nimmt man einen Menschen mit seinem gesamten Bewegungsapparat wahr und das kann erschreckend sein wenn man feststellt das, dass ein Bewegungslegastheniker vor einem sitzt. Die bisher konsumierten Bilder waren ja nur Momentaufnahmen in einer idealen Pose. Da kann es besser sein wenn die Person einem gegenüber in einer gewissen Starre verharrt. Dann wäre sie vielleicht netter anzusehen und man könnte sich noch ein wenig an seiner Phantasie erfreuen. Der absolute Supergau ist allerdings wenn der bis dahin lasziv blickende Mensch auf einmal spricht und dann kann Stimme erschrecken - vollkommen ernüchtern ist es dann wenn das was verbal geäußert wird nicht mehr wert ist als der ganze Plastikmüll der im Meer rumschwimmt. Denn in einer echten Konversation muss man nun ohne Emojis auskommen. Und alles ist live und man muss ja auch zeitnah antworten und kann seine Nachrichten nicht dreimal umformulieren. Und so tötet am Ende der reale Kontakt jede dieser Illusionen und entlarvt diejenigen die nur auf Insta gut aussehen. Ab hier beginnt dann das echte Leben und beide müssen entscheiden wie es weitergeht. Die Trefferquote einen interessanten Menschen in freier Wildbahn zu treffen ist allerdings auch nicht größer. Allerdings erspart man sich vieles, weil man diesen Menschen im Vorfeld in Ruhe aus eine angenehmen Entfernung beobachten kann. Man sieht seine Bewegungen und sein Gesicht auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln ganz ohne Filter. Und wenn man ihn beiläufig in ein unkompliziertes Gespräch verwickelt entscheidet sich sehr schnell ob dieser Mensch interessant ist, oder ob es reicht das Bild von ihm irgendwann einmal geliked zu haben.