Teil 2 Besuch bei den lieben Verwandten auf dem Lande

Serbisch und andere Schwierigkeiten

Wir sind nicht die einzigen die auf den Bus warten. Ein älterer Mann gesellt sich zu uns in kurzer Hose in Kombination mit einem gestreiften Hemd und meinen Lieblingsschuhen den Crocs. Natürlich kann die beste aller Frauen nicht ohne und sofort beginnt sie den Mann in ein scheinbar oberflächliches Gespräch zu verwickeln. Schnell stellt sich heraus, dass der Mann auch nach Radinac möchte. Und so haben die beiden ein interessantes Gesprächsthema gefunden und Schatzi vergisst meine bloße Gegenwart und so tue ich das was ich am besten kann und beschäftige mich mit mir selbst.

Endlich kommt der Bus. Weil wir noch keine Tickets haben, stürmen die beste aller Ehefrauen und ich nach Vorne zum Schaffner. Der alte Mann ruft uns zu sich, wir sollen hinten einsteigen, hier gäbe es die Karten. Ist für mich neu, aber ich folge dem Rat. Tatsächlich hier hinten sitzt eine Dame in einem schicken schwarzen Kleid und mit hohen Hacken und verkauft die Busfahrkarten. Ich überlege ob ich das mal MoBiel vorschlagen soll. Die sollen nicht immer so feiste, kurzhaarige, männlich wirkende und leicht verbitterte Hosen tragende weibliche Kontrolleurinnen einstellen, sondern mal was fürs Auge. Ich wette, dann bezahlt mancher auch gerne mehr für so ein Ticket. Zurück in den etwas in die Jahre gekommen Bus. Die Vorhänge sind auf halb acht, die Sitze haben global gesehen etwas von Patchwork und das Gestänge erinnert mich an unseren Dalmatiner mit den ganzen abgeplatzten Lackstellen. Mittlerweile haben die beste aller Ehefrauen und der ältere Mann die gesamte in Radinac lebende Verwandtschaft durchgekaut. Ab und zu ruft mir Schatzi freudig entgegen, das der alte Mann ihre Cousine kennt, oder den Nachbar ihres Onkels. Freundlich lächle ich die beiden dabei an - die sollen glauben das mich das interessiert. Ich versuche unauffällig ein Foto von der Busfahrkarten Verkäuferin zu machen. Die beobachtet mich die ganze Zeit schon skeptisch-vermutlich ist sie inoffizielle Agentin des serbischen Geheimdienstes und soll herausfinden was ich in Smederevo fotografiert habe. Wir kommen in Radinac an. Ein kurzes Stück begleitet uns noch der alte Mann. Dann verabschiedet er sich von uns mit den Worten das er noch etwas erledigen muss. Endlich spricht meine Frau wieder deutsch mit mir und ich komme mir wieder etwas bedeutungsvoller vor. 

Das letzte Mal waren wir vor 18 Jahren hier. Ich stelle fest es hat sich nichts verändert. Es ist alles noch schlimmer als vorher. Das Zentrum von Radinac hat einen Frisör, zwei Marktstände, einen Mini Supermarkt und ein gerade geschlossenes Cafe´. Schade, ich hatte gehofft ich könnte noch vor dem Treffen mit der Verwandtschaft den Verständigungspegel auf mindestens 2,0 Promille heben. So werde ich aber vollkommen nüchtern das über mich ergehen lassen müssen. Während wir durch den Ort schlendern redet Schatzi die ganze Zeit über die  Vergangenheit und verliert dabei die Orientierung. Wir haben uns verlaufen. Das ist schlecht da die beste aller Ehefrauen ganz dringend mal muss - ich auch. Sie droht mir, das sie sich gleich hier hinter den Baum hockt. Ist dann ja mehr ihr Problem als meins denke ich mir, mich kennt hier eh keiner. In unserer Notdurft fragt sie zwei Frauen nach dem Weg. Wir sind wohl zu weit gegangen und müssen zur Kreuzung zurück.

Endlich stehen wir vor dem sich in der Renovierung befindlichen Haus meiner Schwiegereltern. So wie es hier Sitte ist, ist die Tür nicht abgeschlossen. Wir stürmen ins Haus. Den Zweikampf um die Toilette gewinnt allerdings die Göttergattin, sie hat ja auch Heimvorteil und so stehe ich vollkommen nüchtern mit starkem Blasendruck inmitten der lieben Verwandtschaft Mutterseelen allein. Ein guten Tag und wie geht es Ihnen? Bekomme ich noch in der landesüblichen Sprache hin. Die Antwort auf alles ist dann dobro - das heißt soviel wie gut. Ansonsten hat mir meine Frau nur Beleidigungen, Flüche und Kraftausdrücke beigebracht, die möchte ich aber vor meinem Schwiegervater nur ungern als Mittel der Kommunikation einsetzen. Als nächstes folgt dann der obligatorische erste Slivovic bereits um 10:30Uhr. Ich hoffe das es jetzt besser wird wenn erst einmal das Rauschstadium erreicht ist. Schichtwechsel - Schatzi betritt sichtlich erleichtert die Wohnküche. Ich nutze das Ablenkungsmanöver um mich aus den Fängen der Sippschaft zu befreien und suche etwas Ruhe in dem etwas schwülstig mit rosa Marmor eingerichteten Badezimmer. Hier gibt es leider kein WIFI - das will mein Schwiegervater nicht und meine Schwiegermutter meint sie wäre schon zu alt dafür. Ich frage mich wieso jemand zu alt für das Internet sein soll? Mir war bis dato nicht bewusst das es eine Altersbeschränkung nach oben gibt. Ich sortiere jetzt erst einmal ein  paar Bilder auf dem Handy aus. Aber nach 10min kehre ich doch zurück in die hoffnungslos überfüllte Wohnküche. Neben meinen Schwiegereltern sind auch die Cousine meiner Frau nebst Gatten und zwei Kindern extra angereist. Velimir, nach serbischer Auffassung mein Cousin, obwohl ich noch nicht einmal mit ihm verwand bin und ihn auch erst das zweite Mal in meinem Leben sehe, hat mich schon sehnsüchtig erwartet und beginnt sofort eine Konversation. Als er den Satz beendet lächelt er mich an - ich lächle zurück. Er lächelt mich weiter an, ich sage aber nichts, weil ich auch nichts verstanden habe und lächle weiter. Er blickt sich fragend um und wiederholt noch einmal den Satz. Ich lächle immer noch, etwas anderes fällt mir nicht ein und der Alkohol Pegel ist einfach noch nicht hoch genug. Jetzt soll Schatzi übersetzen. Die hat aber keine Lust hier die Dolmetscherin für mich zu spielen und überlässt mich so meinem Schicksal. Ich lächle einfach weiter vor mich hin.

Es ist nun Zeit das Fleisch zu holen. Mein Schwiegervater grillt nicht selber, er lässt grillen. Ich will mitfahren um dieser Meute zu entfliehen die wie besessen auf mich einreden. Mihajlo, der 5jährige Sohn von Velimir möchte auch mitfahren. Mein Schwiegervater will das aber nicht - meine Frau aber schon und so entsteht eine lustige Diskussion an der sich alle außer mir beteiligen mit dem Ergebnis das Mihajlo jetzt doch mit fahren darf. Der freut sich riesig und lächelt mich dabei die ganze Zeit an.    

Nachdem wir die Sitzschale im Auto meines Schwiegervaters ordnungsgemäß befestigt haben geht es los. Der erste Teil der Fahrt ist kommunikationstechnisch gesehen etwas holprig. Mein Schwiegervater spricht halb serbisch halb deutsch mit mir. Nur so langsam kommt er in den Deutsch Modus. Ab und zu sagt Mihaljo auch etwas auf serbisch zu uns, aber darauf reagiert mein Schwiegervater nicht und so fahren wir dann schweigend weiter.

Die Straße zum Meat Dealer ist offiziell gesperrt. Das heißt hier aber nichts. Landestypisch fährt man trotz Verbotsschilder einfach weiter, zur Not auch über den Bürgersteig. Plötzlich bremst mein Schwiegervater. Er möchte weiter auf der frisch geteerten Straße fahren weil für seinen altersgerechten höher gelegten Golf der Bürgersteig wohl zu hoch sei. Er beginnt mit dem Straßenarbeiter zu diskutieren und wie immer findet sich in Serbien eine Lösung und die heißt - moze = es geht. Also fahren wir noch ein Stück auf der frisch geteerten Straße weiter bis wir den Friedhof erreichen. Von da geht es dann weiter auf dem Bürgersteig an den Blumenverkäufern vorbei. Außer mir wundert sich hier niemand über die dicht vorbei fahrenden Autos. Wir erreichen endlich die Fleischerei. Fleisch ist so etwas wie das Grundnahrungsmittel in der serbischen Küche und so sieht es hier auch aus. Die Theke ist bis zum Anschlag mit Fleisch gefüllt. Im vorderen Bereich steht auch ein Grill auf dem wird dann je nach Auftrag das Fleisch zubereitet.

Mein Schwiegervater kauft traditionell Spanferkel - im Ofen gebacken. Er fragt wie viel er nehmen soll. Ich rechne im Kopf durch und nehme 200gr pro Frau und Kind und 300gr. für die Männer. Das sind dann rund 2,4kg insgesamt. Das teile ich ihm mit. Die größte Schande auf einer serbischen Feier wäre, wenn es nicht genügend zu Essen gäbe. Daher sage ich ihm, dass dann 3,0kg vollkommen reichen werden. Er überlegt einen kurzen Moment und sagt der Fleischerei Fachverkäuferin dann, dass er gerne 4,0kg hätte. Ich schaue ihn verwundert an. Er erwidert nur, dass der Mann von Goga doch so dick sei und immer soviel esse. Aber gleich 1,2kg, frage ich mich?!

Wir fahren zurück, einen anderen Weg als den wir gekommen sind. Ich frage meinen Schwiegervater ob wir als Beilage noch einen Sopska Salat machen können. Dafür benötigt man Gurken, Tomaten, Zwiebeln eine spitze, grüne Paprika und etwas geriebenen weißen Käse. Also halten wir im Ortseingang an einem der beiden Marktstände und mein Schwiegervater prüft fachmännisch die Qualität der dargebotenen Lebensmittel. Nach etwa einer viertel Stunde und mehreren Verhandlungen haben sich der Verkäufer und mein Schwiegervater über Preis, Menge und Qualität geeinigt und wir fahren zurück ins Haus.

Hier ist in der Zwischenzeit ein weiterer Teil der Familie eingetroffen. Goga und ihre Tochter Tijana - der dicke Ehemann, der so viel Fleisch isst, ist noch nicht da. Wieder gibt es eine Runde Rudel kuscheln mit den drei Küssen und zum wiederholten Male „kako si?“ - wie soll es mir schon gehen? Eine differenzierte Analyse meiner Gefühle möchte hier keiner hören und so antworte ich einfach „dobro“. Goga, die Cousine meiner Frau, gehört zu den resistentesten Familienmitgliedern, die unermüdlich mit mir serbisch reden wollen und davon überzeugt sind das ich sie tatsächlich verstehe. Ich lasse sie in dem Glauben und lächelt sie einfach an. Mittlerweile habe ich den 3. Slivovic intus und so langsam nehme ich meine Umwelt rosarot, wie das etwas schwülstige Badezimmer, wahr. Von irgendwo höre ich noch Gogas tiefe Stimme, aber mein Sichtfeld ist leicht verschwommen. Ich verabschiede mich jetzt erst einmal um meinen Rausch im Gästezimmer meiner Schwiegereltern auszuschlafen. Laku noc - gute Nacht.

Ende von Teil 2