Teil 3 Besuch bei den lieben Verwandten auf dem Lande

Ich wache so langsam in einem abgedunkelten Raum auf. Wo bin ich? frage ich mich gerade. Ich schaue mich um und erinnere ich mich, dass ich bei meinen Schwiegereltern in Serbien auf dem Lande bin und gerade meinen Rausch ausgeschlafen habe. Es ist still und ich höre die sonst so laute Familie nur dumpf von irgendwo weit weg. Ich überlege ob ich überhaupt aufstehen soll, weil ich genau weiß was mich erwarten wird. Ein weiteres permanentes Beschallen bei 120 Dezibel in der landesüblichen Sprache, was eindeutig an Körperverletzung grenzt. Dabei werde ich wieder unentwegt lächeln müssen um die Sprachbarriere zu überspielen. Und natürlich ist da wieder der Gruppenzwang permanent Alkohol trinken zu müssen.

Ich fasse meinen Mut zusammen und stehe doch auf. Langsam und sehr leise versuche ich die Tür zu öffnen um meine Gegenwart nicht zu früh zu den anderen zu offenbaren. Zu meiner Erleichterung stelle ich fest, dass ich wohl alleine im Haus bin. Der Rest der Familie sitzt im Garten und unterhält sich lautstark. Für nicht Serben hört sich das allerdings immer wie ein Streit an. Das liegt wohl daran das mein Schwiegervater und die beste aller Ehefrauen von Natur aus ein extrem lautes Sprachorgan haben und wie ganz selbstverständlich lässt niemand von den beiden den anderen dann ausreden.

Um mich zumindest ein wenig vor den Blicken der anderen zu schützen ziehe ich meine Sonnenbrille auf und geselle mich unauffällig zu den anderen. Die ganze Familie sitzt um einen selbstgebauten Tisch herum. Den hat mein handwerklich begabter Schwiegervater einfach aus zwei Bierkisten und ein paar Holzbrettern gebaut. Die Tischdecke ist ein Überbleibsel aus den 70ern, aus 100% Polyester und garantiert nicht biologisch abbaubar. Passend zu der trostlosen Landschaft in beige braun mit einem Schuss Creme. Das gute Geschirr hat man nicht rausgeholt. Das hebt man sich wohl für besondere Anlässe auf. Ich frage mich gerade was noch besseres kommen könnte außer mir? Ich bezweifle nämlich das der Papst äh Pope heute noch vorbeischauen wird. Natürlich bleibt meine Ankunft nicht unentdeckt und so wird wieder lautstark auf mich eingesprochen.

Apropos besonderer Anlass. In dem Schrank aus den 70ern befindet sich eine Schaumwein Flasche aus dem gleichen Jahr. Mein Schwiegervater ist in der festen Überzeugung, dass der Inhalt noch genießbar ist. Ich glaube das nicht, aber meine Meinung zählt hier nicht. Voller stolz versucht er die Flasche zu entkorken, aber der Jahrzehntelange Druck hält letzteren in der Flasche fest. Er reicht mir die Flasche aber der Korken bleibt stecken und will nicht raus und ich will auch, dass der da stecken bleibt, weil ich mir hier nicht noch eine Lebensmittelvergiftung holen möchte mit dem undefinierbaren Inhalt. Mein Schwiegervater reicht nun die Flasche weiter an „meinen Cousin“ der soll es jetzt richten. Nach einigen Minuten hat Velimir es endlich geschafft die Flasche zu entkorken. Ein leicht süßlich fauler Geruch entweicht dem Flaschenhals. Das hält meinen Schwiegervater nicht davon ab das Zeug auch noch in Gläser abzufüllen und uns zu reichen. Ein schwacher Trost ist das alle die dunkle Brühe trinken müssen. Zum Glück habe ich bereits die Speiseröhre und den Magen ausgiebig mit Slivovic gereinigt, so dass die Bakterien beim ersten Kontakt mit der Speiseröhre abgetötet werden. Aus dem Champagner ist eine Mischung aus Essig und Sherry geworden und das sonst so klare Antlitz ist im Glas schon sehr getrübt bis flockig - Prost sage ich da. Der ein oder andere in der Runde mag scheinbar den Geschmack der Verderbnis, meiner ist das nicht.

Nun ist aber Zeit für einen Kaffee. Ich melde mich freiwillig für diese Aufgabe. Das ist recht ungewöhnlich für das Land mit der klaren Geschlechter Teilung. Hier kocht nur Frau und niemals nie der Mann. Ich werde belächelt, tapfer lächle ich zurück und bin froh, dass ich in der Küche verschwinden kann um diesem kulturellen Irrsinn zu entfliehen.

Da stehe ich nun vor einem Plattenherd. Das letzte Mal das ich so etwas gesehen habe war vor 30Jahren als ich studiert habe, aber wie gesagt, hier ändert sich nichts, hier bleibt alles so wie es schon immer war, auf das kann man sich verlassen. Mein Schwiegervater assistiert, wobei ich eher glaube, dass er mich kontrolliert ob ich das auch richtig mache. Schließlich möchte er sich wohl nicht vor der versammelten Familie mit dem Schwiegersohn aus Deutschland blamieren. Zunächst geht der Herd aber nicht an. Ich drücke und drehe alle verfügbaren Schalter, aber keine Platte will heiß werden. Diese Tatsache ist meinem Schwiegerpapa nicht verborgen geblieben und so drückt und dreht er eben genau an den gleichen Stellen an denen ich bereist mein Glück probiert habe. Da der Herd nicht angehen will drehen und drücken wir nun abwechselnd an den diversen Schaltern, aber auch diese Art des Teamworks führt zu keinem Erfolg. Meine Schwiegermutter betritt die Wohnküche. Wie immer gibt es bei meinem Schwiegervater nur ein Fremdverschulden und keine Mitschuld und so kommt der so oft gehörte Satz:“ Rada, was hast Du gemacht?“ Meine Schwiegermutter schaut uns etwas verwundert an. Was soll sie gemacht haben fragt sie uns. Mein Schwiegervater erklärt auf serbisch was das Problem sei und ich bin mir nicht sicher ob er nicht dabei mir die Schuld indirekt gibt, weil ich des Öfteren meinen Namen aus dem Kauderwelsch heraus höre. Meine Schwiegermutter tritt näher an den Herd um sich mit dem Problem vertraut zu machen. Mit einer kurzen Handbewegung dreht sie einen unscheinbaren kleinen Schalter nach links und sagt, dass noch die Kindersicherung eingeschaltet war. Ich schaue weg, möchte ich doch den Stolz, meines handwerklich begabten Schwiegervater nicht zu sehr mit meinem vorwurfvollen Blick verletzen.

Während mein Schwiegervater und ich nun schweigend den Kaffee zubereiten höre ich wie die beste aller Ehefrauen wieder ganz ihrem Naturell die gesamte Familie unterhält. Zum Glück verstehe ich das nicht. Schatzi und ich leben nämlich in Parallel Universen - d.h. die Wahrnehmung ist grundsätzlich unterschiedlich. Leider kann ich heute hier nicht meine - die wahre - Version erzählen.

Der Kaffee ist fertig - dachte ich zumindest. Jetzt ist aber doch der dicke, viel Fleischesser gekommen und ich muss noch einen Kaffee nachliefern. Nach 3min ist auch diese Tat vollbracht und ich trete wieder hinaus in die sengende Hitze. Zur allgemeinen Verwunderung schmeckt mein Kaffee der kritischen Gesellschaft und ich bekomme 9 von 10 Punkten. Einen hat man mir abgezogen weil ich ein Mann bin.

Ich habe aufgehört Alkohol zu trinken und so langsam werde ich wieder Herr meiner Sinne, was wiederum bedeutet das mir bewusst wird in welcher desolaten Lage ich mich befinde. Alleine unter Serben und der Sprache nicht mächtig. Und die Einzige die mir etwas übersetzen könnte macht keine Anstalten mich zu integrieren.

In knapp zwei Stunden geht es zurück nach Belgrad und ich möchte noch vorher die Zelezara besuchen, das größtes Stahlwerk in Serbien und ein wahres architektonisches Monstrum in der Landschaft. Da die Zeit knapp ist wird uns Velemir und der Dicke fahren. Ich setze mich freiwillig nach hinten - da muss ich mich dann nicht unterhalten. Als ich mich anschnalle lacht der Dicke über mich. So etwas ist hier nicht üblich. Mir egal, gelernt ist gelernt denke ich und freue mich schon wenn bei einem möglichen Aufprall der Dicke durch die Scheibe fliegt.

Nach 20min erreichen wir die Rückseite der Zelezara und wir halten am Straßenrand an. Ich steige aus und fange an Fotos zu machen. Ein kleiner Weg führt zwischen ein paar Häuser ähnlichen Baracken näher zum Stahlwerk. Gemeinsam gehen wir durch diese Siedlung. Während ich Fotos mache treten immer mehr Menschen vor die Häuser und beobachten unser Treiben. Auf die Frage was wir hier machen, erklärt die beste aller Ehefrauen das ihr Mann aus Deutschland käme und hier ein paar Fotos machen wolle. Was ich fotografiere möchte man wissen, hier gäbe es doch nur Dreck. Schatzi sagt so etwas wie ich sei Künstler und mache Aufnahmen vom Stahlwerk. Das finden die Leute interessant, aber auch irgendwie komisch. Denn für sie produziert die Stahlfabrik nur Dreck - überall klebt nämlich der rotbraune Staub aus der Fabrik und ich befürchte das nach dieser Reise auch meine all so geliebten weißen Premium Sneaker endgültig hinüber sind.

Wir fahren wieder zurück zu meinen Schwiegereltern und der Uhrenvergleich lässt mich hoffen. Es dauert nicht mehr lange und unser Bus geht zurück nach Belgrad. Mein Schwiegervater möchte uns noch etwas vom Fleisch mitgeben. Der Appetit des Dicken war wohl etwas überbewertet, im Kühlschrank sind noch 1,6kg feinstes Spanferkel. Mein Frau verneint das Angebot und auch ich möchte das Fleisch nicht mitnehmen und in der Minibar der Hotels deponieren und so verabschieden wir uns zu 100% vegan. Zum Abschied findet wieder das allgemeine Rudel Kuscheln mit dem Permanent Küssen statt. Nachdem ich mich von allen verabschiedet habe sind meine Wangen leicht gerötet von der ganzen Knutscherei. Zum Glück trage ich Bart das hat das Meiste abfedern können.

Erleichtert nehme ich im Auto neben meinem Schwiegervater Platz. Selbstbewusst schnalle ich mich wieder an. Am Busbahnhof angekommen gibt es ein kurzes „zbogom“ und mein Schwiegerpapa fährt sichtlich erleichtert alleine wieder zurück nach Radinac.

Kaum ist er außer Sichtweite bricht es aus der besten aller Ehefrauen raus. „Hier muss ich in den nächsten 20 Jahren nicht mehr hin!“ sagt sie, ich sage besser nix aber tief in meinem Inneren stimme ich ihr zu, ich will hier auch nicht mehr hin. Verständnisvoll lächle ich sie an.

Der Bus ist schon da und wir können wieder in der Front Row Platz nehmen.

Zum Glück hat die beste aller Ehefrauen Rede Bedarf und so spricht sie den Busfahrer an. Der hört ihr zu, schließlich kann er nicht weg, aber ich glaube er freut sich auch über die Abwechslung. Obwohl ich mehr schlecht als Recht serbisch spreche kenne ich mittlerweile den Inhalt der Gespräche. Schatzi erzählt woher ihre Eltern kommen, dass sie in Deutschland lebt und jugoslawisch in der Schule gelernt hat. Schließlich noch das ihr Mann Deutscher ist und gerne nach Belgrad reist. Und so vergeht die Busreise während ich mal wieder Fotos aussortiere. Ab und zu bekomme ich ein paar semi interessante Infos auf Deutsch übersetzt, aber ich glaube das macht die beste aller Ehefrauen eher reflexartig und willkürlich.

Endlich erreichen wir Belgrad. Es ist schon dunkel geworden und wir steigen an der Busstation aus. Zum Schluss hupt uns der Busfahrer noch an und winkt uns zu und wir verlassen den Busbahnhof Richtung Zentrum zu Fuß. Ich schlage vor das wir noch etwas trinken gehen, etwas hochprozentiges, damit wir die ganzen Eindrücke von heute verarbeiten können. Schatzi findet das ist eine gute Idee und so kehren wir in unsere Lieblingskneipe dem Skica Cafe mit Blick auf die Save ein.

Endlich sind wird nach 12Stunden wieder online.

Schweigend sitzen wir nebeneinander und antworten auf Nachrichten, liken und geniessen es wieder in der digitalen Welt zu sein. Ich bin froh das wir die lieben Verwandten besucht haben, allerdings bin ich noch glücklicher, das Schatzi entschieden hat das wir in den nächsten 20Jahren da nicht mehr hin müssen und wenn ich Glück habe bin ich bis dahin Demenz. Dann erinnere ich mich nicht mehr an heute.